André Golob

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Verfasst am: 10.11.2007, 10:33 Titel: Lk 21, 2-4: Monikas heiliger Striptease und die Befr |
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Vorabendmesse im Laternenlicht
St. Martin-Gottesdienst
Alt-kath. Gemeinde Bottrop, 10.11.2007, 18.00 Uhr
Kreuzkampkapelle „Verkündigung Christi“
Leitung und Predigt: Pfarrer Dr. André Golob
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Die Sterntaler –
ein Märchen
der Gebrüder Grimm
Es saß die kleine Monika
in ihrem Zimmer traurig da;
denn ihre Mutter war sehr krank
und lag schon viele Wochen lang
im Krankenhaus. Ihr Vater war
bereits seit über einem Jahr
schon tot. Es hatte sich sein Wagen
bei einem Unfall überschlagen.
Die Mutter und das Töchterlein,
die waren seitdem ganz allein,
und weil nun auch die Mutter fort,
saß Monika so traurig dort.
Dann aber hielt sie es zu Haus
alleine nicht mehr länger aus
und lief davon – die Straße lang
und immer weiter, gar nicht bang.
sie lief sogar bis in den Wald,
dabei war´s draußen schon recht kalt!
Sie hatte Brot sich mitgenommen,
um keinen Hunger zu bekommen,
und wollte dieses grade essen,
da sah sie einen Mann indessen,
der bat: „Ach liebe Monika,
hast du nicht was zu essen da?
Ich leide nämlich große Not!“
Da gab ihm Monika das Brot,
obwohl sie selbst sehr hungrig war
nach diesem Marsch, das ist ja klar.
Bald kam jedoch ein Kind daher,
das war recht klein und weinte sehr:
„Hab´ keine Mütze, keinen Hut
und friere sehr, das ist nicht gut.
Sieh meine Ohren sind ganz rot,
ach, hilf mir doch in meiner Not
und gib mir deine warme Mütze,
damit sie mich ein bißchen schütze!“
Und Monika sprach: “Nimm sie hier,
ich gebe sie sehr gerne dir.
Mein warmes Haar ist warm und dicht,
drum brauche ich die Mütze nicht!“
Das Kind rief „Danke!“ und verschwand
und unsere Monika, die stand
im Walde ohne Mütze jetzt.
Als sie den Weg dann fortgesetzt,
da traf sie eine alte Frau,
die ging langsam, ihr Haar war grau,
und traurig sprach sie: „Ach herrje,
bald fällt gewiß der erste Schnee,
und meine Tochter Lisalu
hat keinen warmen Rock wie du
und hustet böse wie noch nie.
Hast du denn keinen Rock für sie?“
Voll Mitleid meinte Monika:
„Ich habe ja nur meinen da,
doch nimm ihn mit zu dir nach Haus!“
Sie zog sich schnell das Röckchen aus
und wollte grade weitergeh´n
da sah sie einen Hasen steh´n,
der sprach: „Sieh nur, ich baue mir
ein Nest, doch dazu fehlt mir hier
was Warmes, Weiches – irgendwas:
denn rings das Gras ist kalt und naß!“
Da sprach das Mädchen: „Liebes Tier,
ich hab´ ja den Pullover hier,
den schenke ich dir gern fürs Nest,
damit sich´s richtig polstern läßt.“
So gab sie den Pullover weg,
der Hase trug ihn ins Versteck,
und Monika stand da und fror
viel mehr natürlich als zuvor;
sie hatte nur ihr Hemdchen an,
als sie den Weitermarsch begann.
Sie ging tief in den Wald hinein,
die Sterne schickten ihren Schein
durch all die Bäume ringsumher,
und Monika fror immer mehr.
Jedoch es kam ganz plötzlich dann
Ein Mädchen durch den Wald heran,
das glich der Monika aufs Haar,
und hatte gar nichts an sogar.
Nun war das Mädchen schon ganz nah,
und mitleidsvoll sprach Monika:
„Du wirst ja ohne Hemd ganz krank,
hier, nimm das meine, es ist lang
und herrlich warm und wird dir nützen
und dich vor einem Schnupfen schützen!“
Sie zog ihr Hemd dann aus geschwind
und sah dann, daß das fremde Kind
verschwunden war – jedoch dafür
begann von allen Sternen hier
ein zauberhafter Goldstückregen,
und Monika zog schnell deswegen
das Hemdchen an und fing darauf
die vielen Himmelstaler auf.
Bald hatte sie mehr als genug;
denn was sie jetzt nach Hause trug,
das reichte für ein Leben lang.
Bald war auch Mutter nicht mehr krank,
und beide leben voller Freude
in Glück und Reichtum auch noch heute.
Das ist der Lohn für gute Taten,
und alle Menschenkindern sei verraten:
Wer lieb ist und stets hilfsbereit,
dem lacht das Glück zu jeder Zeit:
Wer andern gibt, dem wird gegeben.
(Aus: Märchenbuch für Groß und Klein, Hrsg. EDUSCHO-Kaffeerösterei, Bremen-Europahafen)
Lk 21, 2-4 Monikas heiliger Striptease und die Befreiung zur Armut
Wir haben zwei Texte gehört. Das Märchen „Sterntaler“ der Gebrüder Grimm und ein Gleichnis Jesu. Beide treffen in ihrer Aussage den selben Kern und beide berichten letztendlich über etwas, das ich selbst als Pastor und sicherlich auch ihr erfahren habt. Großzügig geben - ob das jetzt die Kollekte betrifft oder andere Gaben – viel geben, tun meist die, die selbst nichts haben bzw. wenig haben. Beide, Märchen und Bibelstelle, haben beflügelte Worte geprägt. Einmal die Redensart vom „letzten Hemd, das ich gebe“. Zum anderen die Formulierung „Scherflein der Witwe“, was soviel heißt „Geben obwohl man selbst nichts hat“.
Das Märchen geht mir besonders nahe. Es stammt aus einem Märchenheftchten, das man damals beim Kaffeekauf mitbekam. Meine Großmutter hat es mir geschenkt. Es versetzt uns in Kinderzeiten zurück – in Zeiten, in denen die Grenzen des Märchenhaften, des Wunderbaren und der Realität verschwammen. Ja sicher mag da manch Realist sagen: `So ein Blödsinn, Märchen, das ist was für Kinder. Gehen sie doch mal auf die Straße und verschenken sie ihr letztes Hemd. Da werden sie sehen was da passiert – Obdachlosigkeit – Lungenentzündung – Tod - Schluß.´ Da ist natürlich was dran - etwas anderes zu behaupten wäre in Anbetracht unserer Gesellschaft verlogen. Aber: Wenn man so denkt, dann denkt man allein an sich. Für die andern, da haben wir ja den Staat, die Caritas oder die Diakonie. Und dann gibt´s ja noch die AWO und die Heilsarmee. Wir zahlen ja im Übrigen genug Steuern für so was.
Aber das Märchen sagt mehr aus, als auf den ersten Blick möglicher Weise erkennbar ist. Märchen, das ist ihre Besonderheit, verweisen – wie die Bibel - immer auf das Innere, die innere Haltung. Es geht hier mehr um die Fähigkeit loszulassen – nicht so sehr materielle Dinge zu lassen – das ergibt sich dann von selbst - sondern eher eine Haltung loszulassen, die uns im Materiellen so viel Wert sehen läßt. „Beati pauperes spiritu“, so heißt es in den Seligpreisungen: „Selig sind die geistig Armen“. Das heißt nicht: Je weniger Gehirnzellen, desto einfacher ist es. Nein dieses Bibelwort geht in eine ganz andere Richtung. Es zeigt, daß alles Moralisieren - das was Christen so gerne machen, den Reichen, den Geizigen die Gelbe Karte zu zeigen und mit dem Zeigefinger zu winken - ... es zeigt, daß es darum gar nicht geht. Das Problem ist nicht der Reichtum, sondern eine Haltung, die Geiz geil erscheinen läßt. Geiz ist nur ein Symptom, dahinter liegen die Ursachen, die es zu bekämpfen gilt. Denn es ist nicht das Ideal Jesu Christi, die Welt von der Armut zu befreien, sonder die Welt zur Armut zu befreien, den Menschen zu zeigen: Wir brauchen das alles nicht, die Gier nach Totem macht uns nur selber tot.
Dafür brauchen wir nicht zu werden wie Franz von Asissi oder die heilige Klara. Es muß uns nur klar werden, daß wir dem Materiellen zwanghaft soviel Bedeutung zumessen, weil es uns die Illusion von Größe vorgaukelt und an die Stelle der Wirklichkeit setzt. Man muß etwas haben, um zu sein. Hinter Reichtum und Ansehen steckt oft ein armes Würstchen, das sich hinter all dem Materiellen versteckt. Und wenn ich mir so manche Wirtschaftsbosse anschauen sehe ich mich darin bestärkt. Wir müssen wieder lernen uns selbst Wert zu schätzen, uns anzunehmen wie wir sind, ohne all diesen materiellen Kram, hinter dem wir so oft unsere Unzulänglichkeiten und Ängste verstecken wollen. Gott liebt uns als seine Kinder, ohne Karriere, ohne Prestigobjekte. Und das muß unsere Gesellschaft auch wieder lernen, die wahren Werte in den Vordergrund zu rücken, weg vom materiellen Wahn, hin zu Werten des Seins.
Gott steht uns zur Seite. All den materiellen Krimskrams, Häuser, dicke Sparkonten schaffen uns nur eine scheinbare Sicherheit. Jeder, den eine schlimme Krankheit oder gar der Tod bedroht weiß das – die Sichtweise ändert sich. Krankheit als Chance der Erkenntnis. Es geht im Leben um etwas anderes, als gedacht.
Die Gefahr des Wohlstandes und des Luxus ist es, daß wir vom wahren Sinn des Lebens abgelenkt werden. Da haben uns die Armen etwas voraus. Wenn du nichts hast, dann legst du die Akzente anders. Geld ist nicht das Entscheidende - daß haben die Alten unter uns noch erlebt im Krieg und auch die Menschen in der DDR wußten das. Da war Zusammenhalt, Solidarität, Zuneigung, Gutmütigkeit, Unverdorbenheit das Tagesgeschäft. All dies tauschten die Menschen aus der DDR ein für eine Gesellschaft der sozialen Kälte und der spitzen Ellbogen. Schon in den ersten Jahre wurden sie abgezockt von all jenen Neppern, Schleppern und Betrügern, die im Westen nichts mehr werden konnten. Die Nebenwirkungen des Kapitalismus, eines Systems, das immer nur sich selbst sieht und auf Egoismus basiert.
Reichsein ist an sich nicht schlecht. Man kann ja auch viel gutes damit tun. Allein das Reichsein-müssen ist es. Warum muß ich denn reich sein, warum brauche ich Millionen – doch nur weil ich meine, mir Geborgenheit und Liebe erkaufen zu können oder einen Ersatz dafür suche. So weit sind wir gekommen: Daß wir unsere Kinder mit Spielzeug überhäufen, mit Playstations und teurer Designerkleidung - aber die Liebe dabei auf der Strecke bleibt.
Was uns die kleine Monika aus dem Märchen vormacht ist eine Art heiliger Striptease. Schale um Schale wirft sie zwiebelgleich ab, was Zittern läßt um das Hab und Gut. Voll Gottvertrauen sieht sie nur das Leid der anderen. Und mit jedem Teil, das sie gibt, befreit sie sich auch um ein Stück Sorge und Angst und legt all dies in die Hände Gottes. Am Schluß steht sie da – nackt, hilflos mit allen ihren Schwächen und Unzulänglichkeiten, aber sie selbst – und ihr wirft Gott ein wärmendes güldenes Kleid über und läßt die Sterne vom Himmel fallen. Gott holt ihr die Sterne des Heils vom Himmel – ein Stück des Himmels, der himmlischen Pracht und Glückseligkeit erfährt sie bereits hier auf Erden.
Ähnlich ergeht es St. Martin, dem römischen Soldaten, an den wir heute denken. Auch er trennt etwas ab. Mit dem Mantel trennt er ab was sein Herz versteinern mag und all seine Ängste wandeln sich in etwas Bergendes, das den Nächsten schützend samtig umschließt.
Wenn wir ihnen folgen, dem Mädchen Monika, dem heiligen St. Martin, der Witwe aus dem Gleichnis und vielen anderen Vorbildern, dann werden wir neugeboren und wir können befreit tanzen und springen, mit Laternen in den Händen, und weinen vor Glück – denn allein Gott hält unser Herz in Händen. Amen |
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